Degenfechterin Imke Duplitzer ist eine der erfahrensten Olympionikinnen der deutschen Mannschaft. Bereits viermal war sie bei den Olympischen Spielen dabei. Mit Road to London sprach die Silbermedaillen-Gewinnerin über das spannendste aller Gefechte, die Geldgier des IOC und ihre Zukunft im Fechtsport.
Road to London: Imke, wo bewahrst Du eigentlich deine Mannschafts-Silbermedaille aus Athen 2004 auf?
Imke Duplitzer: Mittlerweile in einer Vitrine. Aber ich muss zugeben, dass ich sie direkt nach dem Gewinn in der Garage in einem Karton vergessen habe. Der Wert dieser Silbermedaille kam für mich erst dann zum Tragen, als mein Vater gestorben ist – weil ich wusste, dass sie ihm sehr viel bedeutet hat. Und danach ist sie eben aus der Schachtel in eine Vitrine gewandert.
Kannst Du vielleicht nochmal aus Deiner Sicht beschreiben, wie es zu dieser Medaille kam? Das war ja denkbar knapp im Halbfinale damals gegen Frankreich, als Du den entscheidenden Punkt für Deutschland geholt hast.
Ich bin ja schon bekannt dafür, eine Comeback-Fechterin zu sein. Ausweglose Situationen in einem Mannschaftskampf werden immer gern mir übertragen, weil ich in relativ vielen Fällen noch das Ruder herumreißen konnte. Genau so war es gegen Frankreich im Halbfinale: der letzte Kampf gegen Laura Flessel, eine Spitzenfechterin, die zudem bei dem Turnier ziemlich gut drauf war. Ich übernahm das Gefecht mit einem Treffer Vorsprung – es war also eine richtig knappe Geschichte. Am Anfang brauchte ich viel zu viel Zeit, um mich auf die Gegnerin einzustellen, fand meinen Rhythmus nicht, auch weil Laura mich gut unter Druck setzte. Sekunden vor Schluss war ich dermaßen aussichtslos hinten, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte. Ich kam an einen Punkt, an dem ich gar nicht mehr nachgedachte, sondern einfach nur noch die Aktionen abrief. Das war der Schlüssel zum Erfolg. Denn ab da war mein Kopf frei und damit kam meine Gegnerin nicht mehr klar.
Du hast Dich sozusagen in letzter Sekunde in ein Sudden Death gerettet. Was passierte dann?
Ich schaffte den Ausgleich und es ging in ein Sudden Death. Mein Trainer und ich rechneten beide damit, dass Laura bei ihrer ersten Aktion mit einer Finte von unten kommt. Ich musste also nur gerade oben reinstechen. Und dann leuchtete die Lampe bei mir auf. Das war ein unbeschreiblicher Moment – nicht unbedingt, weil wir durch diesen Sieg eine olympische Medaille sicher hatten, sondern weil sich der Kampf zu einem perfekten Gefecht für mich entwickelte. Und das war eben genau das, worauf wir dreieinhalb Jahre hingearbeitet hatten.
In Peking gab es keine Mannschafts-Entscheidung bei den Degendamen. Woran lag das genau?
Das lag daran, dass unser damaliger Präsident des internationalen Fechtverbandes im Zuge seiner Wiederwahl den kleineren, nicht so erfolgreichen Nationen versprochen hat, dass der Damensäbel 2004 olympisch wird. Mit dem Ergebnis, dass das IOC gesagt hat, der Damensäbel könnte gerne olympisch werden, dafür müssten aber zwei andere Entscheidungen gestrichen werden. In Peking musste unter anderem die Mannschaftsentscheidung der Degendamen dran glauben. In London setzt jetzt wieder der Säbel aus.
- Fecht EM-Finale gegen Magdalena Piekarska ( Foto: Olaf Wolf)
Warum gibt es nicht einfach in jeder Fechtdisziplin eine Einzel- und eine Mannschaftsentscheidung? Das wäre doch nur logisch.
Das IOC will insgesamt weniger Wettbewerbe bei Olympia haben – die Funktionäre wollen sich auf die Sportarten konzentrieren, die richtig Kohle bringen. Und Fechten ist einfach kein richtiger Kohle-Sport. Das ist eigentlich das, was ich dem IOC auch immer vorwerfe: dass es die nicht so populären Sportarten aus dem Programm rausdrängen will, um Platz für Sportarten zu schaffen, die mehr Geld einbringen, wie zum Beispiel Golf, das 2016 olympisch wird. Das Gleiche passiert bei den Winterspielen, wo jetzt das Downhill-Rennen auf Schlittschuhen olympisch wird. Da schlagen sich die Athleten halbtot auf der Strecke – Hauptsache, einer kommt unten an. Aber das wird eben von Red Bull gefeatured. Das heißt, auch da ist viel Geld dahinter.
Eigentlich schade, dass dafür eine Sportart wie Fechten, die ja seit Beginn der Olympischen Spiele der Neuzeit dabei ist, einfach aus dem Programm fliegen soll.
Das ist so ziemlich der einzige Grund, warum die Sportart bis heute bei Olympia überlebt hat. Das IOC muss ja wenigstens ein bisschen das Mäntelchen des Traditionsbewusstseins anbehalten. Der eigentliche olympische Gedanke war ja, dass sich Amateure im Frieden treffen, derweil die Waffen schweigen, weiße Tauben durch die Luft fliegen und alle sich lieb haben. Das zeichnet ja auch die Faszination „Olympische Spiele“ aus – zumindest ist das der Grundtenor. Aber so langsam sollte sich das IOC mal überlegen, ob es wirklich den richtigen Kurs fährt, wenn es bei denen nur noch um den finanziellen Aspekt geht. Aber das ist nicht mein Bier.
Auf jeden Fall seid Ihr diesmal wieder als Mannschaft bei den Olympischen Spielen vertreten und habt – denke ich – auch ganz gute Chancen auf eine Medaille. Britta Heidemann, Monika Sozanska und Du. Oder wie siehst Du das?
Man darf aber nicht vergessen, dass wir eine relativ holprige Olympia-Qualifikation hinter uns haben. Auch, weil wir von vielen Verletzungen geplagt waren: Britta hatte sich zum Beispiel an der Hand verletzt, ich selber hatte nach einem Unfall mit einer Hirnblutung zu kämpfen. Das waren also schwierige Zeiten. Wir haben uns mit nur einem Punkt mehr als Estland als letzte Mannschaft qualifiziert und bekommen nun in der ersten Runde bei Olympia gleich einen schweren Gegner zugelost.
Wer könnte da warten?
Zum Beispiel die starken Rumänen. Die sind momentan das Maß aller Dinge. Aber auch China wäre ein harter Gegner. Aber wir sind auf jeden Fall eine harte Nuss, die es erstmal zu knacken gilt.
Wenn Ihr einen der dicken Brocken gleich am Anfang aus dem Weg schafft, habt Ihr aber auch Chancen, weit zu kommen.
Dann haben wir freie Bahn, das ist richtig. Aber um das zu schaffen, brauchen wir einfach ein bisschen Glück. Wir müssen einen Tag erwischen, an dem alles passt – dann ist viel drin für uns.
- Imke Duplitzer ist amtierende Europameisterin (Foto: Jürgen Olczyk)
Wenn ich Bilder von euern Wettkämpfen sehe, wirkt es auf mich so, als ob in der deutschen Fechtmannschaft eine große Einheit herrscht. Alles geht sehr harmonisch zu, jeder fiebert für den anderen mit. Kannst Du diesen Eindruck bestätigen?
Es gibt natürlich auch die eine oder andere Reiberei. Auch welche, die bewusst von außen geschürt werden, etwa wenn Journalisten ihre Story haben wollen oder Funktionäre ihre Athleten gezielt steuern wollen. Bei den Männern ist das ein bisschen problemloser als bei uns Frauen. Die hauen sich im Wettkampf und im Training auch mal ordentlich auf die Nuss. Danach geht jeder so 10, 20 Minuten seiner Wege und abends gehen sie wieder gemeinsam ein Bier trinken. Wir Frauen nehmen vieles sehr persönlich und dann dauert es immer ein bisschen länger, bis der große Frieden wieder hergestellt ist. Aber wir ziehen schon alle an einem Strang: Wir wollten zu den Olympischen Spielen und haben dort auch das gemeinsame Ziel, eine Medaille zu holen.
Du bist 2010 zum zweiten Mal Europameisterin geworden. Die stärksten Fechter der Welt kommen allesamt aus Europa. Wie schätzt Du deine Chancen ein, eine Medaille im Olympia-Einzel zu holen?
Es ist schwer, da eine Vorhersage zu treffen. Mittlerweile ist die Weltspitze sehr eng zusammengerückt: seien es die Russen, die Chinesen, die Franzosen oder auch die Italiener. Da kommt es dann auch ein bisschen auf die Tagesform an. Aber wenn die Motivation stimmt und auch die Vorfreude da ist – wenn man merkt, es fängt an zu prickeln, es geht los – dann kann es an dem Tag auch durchaus richtig krachen. So war es zum Beispiel in Leipzig, als ich Europameisterin geworden bin. Da bin ich morgens aus dem Haus gegangen, an einem Bombentag, ich hatte Musik auf den Ohren und bin mit meinem Fechtzeug gemütlich in die Halle gelatscht und hab’ gesagt: „Jetzt rocken wir mal die Bude!“ Dieses Gefühl ist sehr wichtig, Fechten findet im Kopf statt. Wenn es im Kopf passt, wenn man nicht verkrampft ist, dann kann man alles reißen. Ich hoffe, dass ich so einen Tag in London erwische.
Es war ja auch immer dein großes Ziel, bei Olympia den großen Wurf zu schaffen, oder?
Das ist so eine Sache, die ich heute etwas anders sehe als damals. Natürlich, als ich noch jung war, habe ich oft daran gedacht, bei Olympia eine Medaille im Einzel mit nach Hause zu nehmen. Irgendwann hab ich aber festgestellt, dass sich die Welt danach trotzdem weiterdreht. Und ich bin immer noch ich, obwohl ich mit einer Medaille von den Olympischen Spielen zurückgekommen bin. Deshalb bin ich mittlerweile ein bisschen entspannter. Es wäre natürlich toll, wenn ich noch eine andere Medaille zu meiner Sammlung hinzufügen könnte, aber es wäre jetzt auch kein Weltuntergang, wenn das nicht passiert.
Vier Jahre liegen zwischen den Olympischen Spielen in London und denen in Rio de Janeiro. Wirst Du 2016 noch dabei sein?
Das ist eine gute Frage. Es ist generell so, dass einem das Intervall von vier Jahren von Zeit zu Zeit immer kürzer vorkommt. 1992 habe ich zum Beispiel noch gedacht: „Mann, sind diese vier Jahre lang.“ Jetzt ist es eher dieses: „Ich war doch erst bei Olympia.“ Insofern kann es schon sein, dass ich sage: „Ok, ich guck‘ mir Rio nochmal an.“ Aber ich werde nach diesen Olympischen Spielen erstmal eine längere Pause machen, um einfach nach 20 Jahren auch mal ein bisschen Abstand zu gewinnen. Ich bewundere da die Queen, die 60 Jahre lang denselben Job macht, ohne einen Vogel zu kriegen. Ich muss einfach mal raus, was völlig anderes machen. Wenn ich das dann mal ein halbes, dreiviertel Jahr von außen beobachtet habe, kann ich – glaube ich – bewusst beurteilen, ob ich nochmal einen Anlauf wagen will oder nicht. Ich kann beides nicht ausschließen. Klar ist nur, dass ich mir nach Olympia erstmal eine Auszeit vom Fechten gönne.
Vielen Dank, Imke, für dieses Gespräch.